Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
"Wer sichtbar hilft, produziert unter Umständen mehr Nachfrage nach solcher Hilfe, als er befriedigen will und kann … Diesem Problem muss man sich stellen." Das sind die Worte von Gertrude Lübbe-Wolff, von 2002 bis 2014 Richterin am Bundesverfassungsgericht.

Wenn wir uns der Flüchtlingskrise als einer der größten humanitären Herausforderungen der Nachkriegsgeschichte stellen, dann müssen wir uns gerade auch der Herausforderung für die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft und unserer Systeme, insbesondere unseres Aufnahmesystems, stellen und entschlossen die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen.

Eine dieser Konsequenzen ist das vorliegende Gesetzespaket, das wir heute beraten und von dem fünf deutliche Signale ausgehen: 1. Schutz und Hilfe nur für die, die wirklich Schutz und Hilfe brauchen; 2. schnellere und entschlossene Rückführung von Menschen, die nur behaupten, Schutz zu suchen, aber in Wahrheit aus anderen Gründen nach Deutschland kommen; 3. härterer Umgang mit denen, die im Asylverfahren nicht mitwirken oder sich durch Tricks einen längeren Aufenthalt in Deutschland erschleichen wollen. 4. Für ausländische Straftäter gibt es keine Zukunft in Deutschland. Wir werden sie zukünftig schneller aus unserem Land ausweisen. 5. - das ist ein ganz wichtiger Punkt -: Eine Gesellschaft, die hilft, hat ein zwingendes Interesse daran, die eigene Fähigkeit zur Hilfe und zur Integration zu erhalten. Dieses Interesse ist Pflicht und Auftrag für die Politik in Deutschland. Dieses Interesse teilen wir mit allen Menschen, auch mit denjenigen, die zu uns gekommen sind und selbst Migranten waren.

Die Bundesrepublik hat das Ziel, den Flüchtlingsstrom dauerhaft und nachhaltig spürbar zu reduzieren. Daran arbeiten wir, und daran werden wir uns in den nächsten Monaten auch messen lassen. Wir tun das mit großem Einsatz in Europa, mit internationalen Maßnahmen, Stichwort „Türkei“. Ich verweise auf das Bemühen unseres Außenministers um eine Waffenruhe in Syrien oder auf die internationale Geberkonferenz. Wir tun das natürlich auch national, unter anderem mit den Maßnahmen, die wir heute im Plenum beraten und beschließen werden.

Drei dieser Maßnahmen sind mir besonders wichtig. Ich beginne mit dem beschleunigten Verfahren. Wir sagen jetzt: Wir entscheiden noch schneller über Antragsteller aus sicheren Herkunftsstaaten und über Personen, die sich der Mitwirkung an einem ordentlichen Verfahren verweigern, zum Beispiel weil sie ihre Fingerabdrücke nicht abgeben wollen, über ihre Identität täuschen oder ihre Identitätsdokumente einfach vernichten. Es ist nicht zu viel verlangt von jemandem, der einen Asylantrag in Deutschland stellt, dass er seinen Namen nennt, wahrheitsgemäß sagt, aus welchem Land er kommt, und sich am Asylverfahren angemessen beteiligt.

Wer das nicht macht, dem können wir auch kein Asylrecht in Deutschland einräumen; der muss unser Land wieder verlassen. Das müssen wir auch so deutlich sagen. Mitwirken, die Wahrheit sagen und seine Ausweisdokumente vorlegen, das ist eine legitime Erwartung in einem Rechtsstaat. Verstöße dagegen werden wir jetzt stärker als bisher mit Sanktionen belegen. Diese Ordnung ist auch wichtig für die Bereitschaft der Bevölkerung, weiter Flüchtlinge aufzunehmen. Sie ist fair gegenüber der weit überwiegenden Zahl von Antragstellern, die sich ordentlich dem Asylverfahren in Deutschland stellen.

Mein zweiter Punkt, Abschiebehindernisse. Welchen medizinischen Standard verlangen wir im Herkunftsland? Auch hier treffen wir eine grundsätzliche Entscheidung. Wir sagen: Für eine Abschiebung muss es eine solide, angemessene medizinische Versorgung geben. Aber wir können im Zielstaat nicht die gleiche medizinische Versorgung auf allerhöchstem Niveau erwarten, wie wir sie hier in Deutschland kennen. Wann müssen Atteste vorgelegt werden? Diese Frage ist wichtig, weil manche Ausreisepflichtige Atteste zurückhalten und am Tag der Rückführung überraschend vorlegen, um einer Abschiebung zuvorzukommen. Wir regeln jetzt, dass eine ärztliche Bescheinigung, die die Abschiebung verhindert, unverzüglich nach deren Ausstellung bei der Ausländerbehörde vorgelegt werden muss. Der weit verbreiteten Praxis der sogenannten Atteste auf Vorrat bereiten wir damit ein Ende.

Wir helfen in Deutschland denen, die Schutz brauchen. Aber wir sagen auch: Die Motivation, nach Deutschland zu kommen, muss Schutz oder Flucht und darf nichts anderes sein.
Die dritte Maßnahme, die ich ansprechen möchte, ist die Einschränkung des Familiennachzugs. Wir müssen und werden die Aufnahmefähigkeit unseres Landes aufrechterhalten. Diesem Ziel dient die Einschränkung des Familiennachzugs. Den Kritikern sage ich: Die Koalition hat sich diese Entscheidung wahrlich nicht einfach gemacht.

Aber, meine Damen und Herren, sie ist dringend erforderlich. Unser Land hat auch unter moralischen Gesichtspunkten keine Pflicht, sich selbst und seine Bürger durch humanitäre Hilfe zu überfordern.

Deshalb ist diese Entscheidung richtig und notwendig.
Noch ein letzter Punkt: Es ist viel gesagt worden über die Konsequenzen der Silvesternacht in Köln. Auch ich habe hier bereits zu diesem Thema gesprochen. Deswegen will ich an dieser Stelle nur Folgendes sagen: Vielleicht glauben manche, dass das friedliche Zusammenleben in Deutschland eine Selbstverständlichkeit darstellt. Aber: Unsere Art zu leben, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen und die Freiheit, die wir kennen - all das ist nicht in allen Ländern und Kulturen der Welt selbstverständlich.

Das gilt zum Teil eben auch für die Herkunftsländer der Menschen, die derzeit zu uns kommen.
Deswegen sage ich deutlich: Einer Haltung, die den Respekt und die Achtung zum Beispiel gegenüber einer Frau von der Begleitung eines Mannes, vom Tragen bestimmter Kleidung oder von irgendetwas anderem abhängig macht, werden wir uns entgegenstellen.

Auch wenn diese Haltung mit Religion begründet wird, hat jedenfalls dieses Verständnis von Religion bei uns im Land nichts zu suchen, meine Damen und Herren.

In unserem Land gibt es Regeln, die für alle Menschen und alle Situationen gelten, unabhängig von Geschlecht oder Glauben.

Sie werden von keiner anderen Kultur und von keiner Religion relativiert.
Meine Damen und Herren, das muss die Botschaft sein. Ihre Durchsetzung ist unser aller Auftrag. Daran müssen wir denken.

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